Welche Macht hat ein Projektmanager?

In diesem Beitrag geht es darum, welche Macht ein Projektmanager hat und wie er sie nutzen kann.

Projektmanager und Führungskräfte stehen immer wieder vor den gleichen Herausforderungen. In einer Serie greife ich Beispiele aus meiner Coachingpraxis auf und zeige Möglichkeiten, wie sie gelöst werden können.

Die Situation

Ein junger Maschinenbauingenieur hatte direkt nach seinem Studium eine gute Position bei einem Maschinenhersteller angetreten. Er konnte dort eine Weiterbildung zum Projektmanager machen und war sehr stolz, bereits nach 18 Monaten die Projektleitung für ein größeres Turnaround Projekt übernehmen zu dürfen. Er war direkt dem Produktionsleiter unterstellt. Auch sein Projektteam wurde schnell mit hochqualifizierten Mitarbeitenden besetzt – Senior-Experten und Führungskräften des mittleren Managements – fast alle deutlich älter als er und schon jahrelang im Unternehmen.

Seine anfängliche Freude, so ein wichtiges Projekt übernehmen zu dürfen, wich schnell einer großen Unsicherheit.

Was ist passiert?

Sicher war es eine Auszeichnung für den junger Maschinenbauingenieur, so ein Projekt zu übernehmen. Gleichzeitig stellen sich bei so einer Herausforderung aber auch viele Fragen.

Wie sollte er so ein erfahrenes Team eigentlich führen? Ihm war bewusst, dass er keine disziplinarische Macht hatte – aber hatte er überhaupt Macht? Was erwarten sie von ihm, welche Rolle sollte er einnehmen?

Was sollte der Projektmanager jetzt machen?

Die erste Frage, die sich in unserem Coachinggespräch stellt, ist, welche Macht er als Projektmanager eigentlich haben kann. French und Raven1 haben sechs verschiedene Quellen der Macht identifiziert:

Machtbasen nach French und Raven
  • Legitime Macht ist die Autorität, die jemand aufgrund seiner Position hat und mit der er Handlungen vorgeben kann. Als Projektmanager hat er sie nur indirekt, als „geliehene Macht“. Er bekommt sie durch die Rückendeckung des Projektauftraggebers, der ihn als Projektmanager eingesetzt hat.
  • Macht durch Belohnung und Macht durch Strafe sind oft eng mit legitimer Macht verbunden. Sie bedeuten, dass der Projektmanager den Teammitgliedern etwas zukommen lassen kann, was sie schätzen oder ihnen etwas verwehren kann, was sie gerne hätten, oder er kann ihnen auch das Leben einfach schwer machen. Projektmanager können meistens keine finanziellen Anreize geben und einen Projektmitarbeitenden auch nicht direkt bestrafen. Indirekt haben sie die Möglichkeiten schon, indem sie beispielsweise Teammitgliedern attraktive Arbeitspakete oder positives Feedback geben und ihre Arbeit wertschätzen. Umgekehrt kann der Projektmanager das Leben der Projektmitarbeitenden unangenehm machen, indem er unattraktive Aufgaben vergibt oder sie ignoriert.
  • Macht durch Identifikation hat der Projektmanager, wenn er ein gutes Verhältnis zu seinem Team hat, wenn er respektiert oder bewundert und als sympathisch empfunden wird. Wenn sein Verhalten positiv empfunden wird, werden ihm seine Projektteammitglieder leichter folgen.
  • Macht durch Wissen hat der Projektmanager, wenn er Fähigkeiten, Wissen oder Erfahrung hat, die andere brauchen und nicht selbst haben. Die Expertise ist auch meistens der Grund, warum er als Projektmanager ausgewählt wurde. Sein Team muss seine Expertise aber auch anerkennen.
  • Informationsmacht bedeutet, dass der Projektmanager Informationen hat, die die anderen nicht haben, und dass er darüber entscheidet, ob und wie er diese weitergibt.

Die Macht des Projektmanagers

In diesem Fall hat der Projektmanager vor allem Macht durch seine Expertise im Projektmanagement. Er kann auch Macht durch Identifikation erlangen, wenn er ein gutes Verhältnis zu den Teammitgliedern aufbaut. Dabei kann positives Feedback durchaus helfen. Eine gewisse legitime, „geliehene“ Macht hat er, wenn der Projektauftraggeber und der Produktionsleiter wirklich hinter ihm stehen und ihm Rückendeckung geben. Da er noch recht neu im Unternehmen ist, wird er vermutlich noch nicht so vernetzt sein und leicht an Informationen herankommen – da haben seine Teammitglieder, die schon lange dabei sind, eher einen Informationsvorsprung. Die Möglichkeit, das Leben eines Projektmitarbeitenden unangenehm zu machen, sollte er ausschließen. In dieser Konstellation, mit einem Team aus Senior-Experten und Führungskräften des mittleren Managements, wird er damit nicht erfolgreich sein und es wird eher ins Gegenteil umschlagen.

Die Rolle des Projektmanagers

Ein weiterer wichtiger Punkt ist seine Rolle zu definieren. Da er ein sehr erfahrenes Team hat, kann er sich mehr auf das Projektmanagement konzentrieren. In Abstimmung mit seinen Projektmitarbeitenden und den Projektgremien konzentriert er sich zukünftig auf eine eher moderierende Rolle als „Facilitator“. Er übernimmt die Projektplanung und das Projektcontrolling, hilft dem Team, effektiver zu arbeiten, koordiniert und entwickelt gemeinsam mit ihnen Strategien. Er ist auch verantwortlich für das Stakeholdermanagement, die Kommunikation mit allen, die ein berechtigtes Interesse am Ergebnis des Projekts haben, und präsentiert das Projekt nach außen. Damit bekommt er auch eine hohe Akzeptanz im Team, da er ihnen den Rücken freihält, damit sie sich auf die Arbeitspakete konzentrieren können.

Ein Projektmanager hat oft nur begrenzte Macht. Umso wichtiger ist es, sich zu überlegen, welche Machtbasen er dennoch nutzen kann und wie er seine Rolle definiert, um im Projekt erfolgreich zu sein.

Literatur

1 French J, Raven BH (1959) The bases of social power. In Cartwright, D. (Ed), Studies of social power, Ann Arbour, MI: Institute for Social Research, S. 150-167

Über die Artikelserie: Praxisbeispiele aus dem Projektmanagement-Coaching

Projektmanagement ist „people business“ und es geht eigentlich immer darum, wie der Projektmanager seine Mitarbeitenden motivieren, die Zusammenarbeit verbessern und Konflikte lösen kann und es geht um Macht, Einfluss und Politik. Der Umgang mit diesen vermeintlich „soften“ Themen (im Vergleich zu den „harten“ Tools des Projektmanagements) ist entscheidend, um Projekte erfolgreich zu führen. Gerade im Gesundheitswesen – aber nicht nur dort – wird jemand aufgrund seiner Expertise gebeten, ein Projekt zu leiten – oft ohne das notwendige Projektmanagement Know-how zu haben und meistens auch in einer schwierigen Führungsrolle, wenn im Team verschiedene Hierarchiestufen und Abteilungen aufeinandertreffen und der Projektmanager keine disziplinarische Verantwortung hat.

Bisher erschienen:

  1. Wie motiviere ich meine Teammitglieder und nehme ihnen Unsicherheit?
  2. Wie gehe ich mit Mitarbeitenden um, die ihre Leistung nicht bringen?

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung der Sprachformen männlich, weiblich und divers (m/w/d) verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichermaßen für alle Geschlechter.


Ich freue mich, wenn Sie diesen Beitrag weitersagen: