Employee Ghosting im Gesundheitswesen

Fast jeder kennt die Situation: Man bewirbt sich und das Unternehmen reagiert nicht. Man fragt nach und bekommt keine brauchbare Antwort. In den letzten Jahren ist aber ein neues Phänomen dazugekommen: Unternehmen werden von Bewerbern und Mitarbeitern im Stich gelassen. Das Phänomen hat auch einen Namen: Employee Ghosting.

Der Begriff „Ghosting“ kommt aus der Welt der Online-Partnervermittlungen. Darunter wird verstanden, dass jemand nicht zu einer Verabredung erscheint oder nach der ersten Verabredung verschwindet und nicht mehr erreichbar ist. Ghosting bedeutet auch immer ein enttäuschtes Vertrauen in der Beziehung zwischen Menschen. Und kann damit auch auf die Arbeitswelt übertragen werden:

  • Ein Bewerber erscheint nicht zum ersten Vorstellungsgespräch – ohne Entschuldigung oder Erklärung.
  • Ein Bewerber nimmt ein Stellenangebot an, erscheint dann aber nicht am ersten Arbeitstag und reagiert auch nicht auf Nachfragen.
  • Ein Mitarbeiter verlässt seinen Arbeitsplatz und kommt – ohne Ankündigung – nicht wieder und ist auch nicht mehr erreichbar.

Wie beim Dating ist die Botschaft „ich bin nicht daran interessiert“ – in diesem Fall für das Unternehmen zu arbeiten – und der (potentielle) Mitarbeiter möchte einen Konflikt vermeiden, unangenehmen Gesprächen ausweichen und keine Gründe für das Desinteresse angeben.

Kornferry, die internationale Executive-Search- und Talent-Management-Beratung, spricht in einer Studie von 25% oder mehr neuen Mitarbeitern, die am ersten Tag nicht zur Arbeit erscheinen. Andere Studien gehen davon aus, dass mehr als zwei Drittel der Manager die Situation kennen, dass Bewerber ein Stellenangebot zunächst annehmen, um dann doch nicht zu kommen. Dieser Trend scheint ein weltweites Phänomen zu sein und auch alle Branchen zu betreffen. Auch wenn es keine Studie gibt, die explizit Ghosting im Gesundheitswesen untersucht hat, ist das Phänomen auch hier verbreitet. Den Ghosting tritt verstärkt dann auf, wenn es mehr offene Stellen als Arbeitskräfte gibt. Und dies ist im Gesundheitswesen der Fall. Verschiedene Untersuchungen gehen davon aus, dass bis 2030 alleine für die vollstationäre Pflege mehr als 100.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt werden, bis 2060 werden Zahlen bis zu 400.000 Fachkräften genannt. Und auch die Fluktuation ist mit mehr als 20% im Gesundheitswesen vergleichsweise hoch. Zudem ist das Pflegepersonal zusätzlich durch Covid-19 sehr stark belastet und immer mehr Fachkräfte denken daran aufzuhören.

Ghosting scheint unabhängig von der Qualifikation und der Position aufzutreten. In der Literatur finden sich Beispiele sowohl für geringer qualifizierte Arbeitskräfte genauso wie für hochqualifizierte Spezialisten. Sehr oft wird „Employee Ghosting“ den Generationen Y (ca. 23-38 Jahre) und Z (unter 23 Jahre) zugeschrieben. Demnach seien diese Generationen sehr an soziale Medien gewöhnt, die maximale Freiheit und Unverbindlichkeit versprechen. „Keine Antwort ist auch eine Antwort“ gilt dort als gesetzt. Die Generationen Y und Z werden oft als egoistisch beschrieben, sie seien nur an ihren eigenen unmittelbaren Bedürfnissen interessiert. Ghosting sei letztlich ein Zeichen von Überforderung, sie wollten Konflikte vermeiden und sich nicht den „überholten“ Normen der älteren Generationen anpassen. Aber das Alter scheint nicht wirklich eine Rolle zu spielen, sowohl junge als auch ältere Arbeitnehmer betreiben Ghosting.

In einer nicht repräsentativen Studie haben wir untersucht, was die Gründe für Employee Ghosting sind. Natürlich kann man die Gründe nur vermuten, da man meistens den „Ghost“, den (potentiellen) Mitarbeiter der nicht mehr reagiert, nicht befragen kann.

Gründe, warum (potentielle) Mitarbeiter Ghosting machen:

  1. Kein Interesse: Der Bewerber hat kein Interesse mehr und möchte ein unangenehmes Gespräch mit dem potentiellen Arbeitgeber vermeiden. Vielleicht hat er zwischenzeitlich ein besseres Angebot bekommen, vielleicht hat ihm sein bisheriger Arbeitgeber ein gutes Angebot gemacht um ihn zu halten. Oder er hat inzwischen was Negatives über die Organisation gehört und das Interesse verloren.
  2. Technologie: Messaging-Anwendungen und soziale Medien verändern die Art und Weise, wie Menschen kommunizieren, machen die Kommunikation unverbindlicher und anonymer. Dadurch brechen Menschen leichter den Kontakt ohne Erklärung ab. Dies wird insbesondere den jüngeren Bewerbern zugeschrieben.
  3. Keine Absicht: Es wird unabsichtlich ge-ghosted, der Termin aus Versehen versäumt und dann ist es dem Bewerber peinlich, sich zu melden und sich zu entschuldigen. Oder der Bewerber will sich nicht festlegen, schiebt seine Entscheidung immer weiter auf und meldet sich deswegen nicht.
  4. Alternativen: Ein sehr guter Arbeitsmarkt eröffnet den Bewerbern viele Möglichkeiten, sie suchen sich unter zahlreichen Angeboten das beste raus und machen sich nicht die Mühe, den anderen abzusagen oder wollen sich vielleicht bewusst noch andere Optionen offenhalten, falls sie ihre Meinung ändern.
  5. Persönliche Gründe: Natürlich können auch persönliche Gründe eine Rolle spielen, z.B. ein Notfall in der Familie für den sie alles andere liegen lassen.
  6. Unkenntnis: Mitarbeiter kennen die Regel nicht, dass sie sich melden und bei Krankheit nach spätestens 3 Tagen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreichen müssen.
  7. Unzufriedenheit: Mitarbeiter sind unzufrieden mit dem Job, den Arbeitsbedingungen, der Vergütung, dem Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten. Ghosting stellt eine Möglichkeit dar, die unzufrieden machende, belastende und unangenehme Tätigkeit nicht weiter auszuführen ohne sich weiter erklären zu müssen.

Aber auch Arbeitgeber können für Employee Ghosting verantwortlich sein:

  1. Keine Reaktion: Wie bereits erwähnt meldet sich der Arbeitgeber nicht auf die Bewerbung oder nach dem Auswahlverfahren. Die Verantwortlichen sind im Stress, haben viel zu tun, es wird im Unternehmen keine Entscheidung getroffen und deswegen halten sie den Kandidaten hin. Wenn potentielle Mitarbeiter diese Erfahrung gemacht haben, können sie sich mit ihrem Verhalten anpassen.
  2. Missverständnisse: Die Kommunikation zwischen Arbeitgebern und Mitarbeiter ist schlecht, es kommt zu Missverständnissen.
  3. Fehlende Wertschätzung: Der Arbeitgeber vermittelt dem Bewerber gegenüber keine Wertschätzung, das Bewerbungsverfahren verlief unerfreulich, deswegen reagiert der Bewerber nicht mehr. Fehlende Wertschätzung spielt aber nicht nur bei Bewerbern eine Rolle: auch Mitarbeiter können sich schlecht und unfair behandelt fühlen und ihre Konsequenzen ziehen.

Employee Ghosting ist eine Herausforderung für alle betroffenen Unternehmen und Organisationen, auch im Gesundheitswesen. Eine Stelle kann nicht besetzt werden, weil der Bewerber nicht mehr reagiert, oder eine Stelle ist plötzlich vakant, weil der Mitarbeiter nicht mehr erscheint. Die Stelle muss nachbesetzt werden, der Recruiting Prozess muss neu gestartet werden – mit entsprechendem zeitlichen und finanziellen Aufwand. Oder man hat andere geeignete Kandidaten warten lassen und die Organisation wird für diese Bewerber dann selbst zum Ghost, da sie nach dem Vorstellungsgespräch keine klare Antwort gibt.

Wie kann eine Lösung für Arbeitgeber aussehen? Die perfekte Lösung gibt es nicht, dazu sind die Gründe des Employee Ghostings zu heterogen. Fünf wesentliche Handlungsempfehlungen können jedoch gegeben werden:

  1. Employer Branding: ein Unternehmen, das ein attraktiver Arbeitgeber ist und sich positiv von anderen Wettbewerbern im Arbeitsmarkt abhebt wird eher weniger „ge-ghosted“, da ein Job dort als erstrebenswert angesehen wird.
  2. Candidate Experience: Candidate Experience bezeichnet die Gesamtheit der Erfahrungen eines Bewerbers an allen Kontaktpunkten mit seinem potentiellen neuen Arbeitgeber. Wenn die Erfahrungen positiv sind und auch nach der Vertragsunterschrift und vor dem Arbeitsbeginn die Organisation mit dem künftigen Mitarbeiter in Kontakt bleibt, verringert sich das Risiko, dass der Mitarbeiter seinen Job nicht antritt.
  3. Persönlicher Kontakt: Die Erfahrung zeigt, dass ein Bewerber eher unterschreibt und den Job antritt, wenn es zu einer guten persönlichen Beziehung gekommen ist und er beispielsweise direkten Kontakt zu seinem künftigen Chef hatte, der sich darauf freut, wenn er kommt.
  4. Verzögerungen kommunizieren: Die Entscheidung, wer eingestellt wird, sollte schnell getroffen werden. Sollte es aber zu Verzögerungen kommen, hilft es, mit dem Bewerber zu kommunizieren und Transparenz herzustellen. Eine gute und ehrliche Kommunikation erleichtert die Situation für alle Beteiligten.
  5. Wertschätzung: Eine positive Unternehmenskultur, in der (potentiellen) Mitarbeitern das Gefühl gegeben wird, geschätzt zu werden, verringert das Risiko, das „ge-ghosted“ wird – von Bewerbern wie von Mitarbeitern. Wenn Organisationen sich bewusst um ihre Mitarbeiter bemühen und sie aktiv an die Organisation binden, reduziert sich das Risiko, dass sie plötzlich nicht mehr erscheinen. Gleichzeitig ist dies auch ein positives Zeichen nach außen an alle potentiellen Mitarbeiter.

Photo by National Cancer Institute on Unsplash


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